Schnaufcast 035 - Der blühende Jura

SCHNAUFCAST 035

Vor kurzem suchten die Eltern meiner Freundin eine Wanderroute um mal wieder einen ganzen Tag zu wandern. Da ich viel im Frankenjura zum Klettern bin, kenne ich mich ganz gut in den Tälern aus und kann sagen wo es sich lohnt auch mal zu wandern. Bei der Recherche bin ich auf eine Mehrtageswanderroute gestoßen, die sich "Blühender Jura" nannte. Die gesamte Tour würde über 100 km gehen und zum wandern 5 bis 7 Tage dauern. Der geneigte Trailrunner denkt natürlich wenn er so etwas liest nur einen Gedanken: Single-Push! Aber da ich dieses Jahr noch nicht wirklich viel Zeit ins Ultratraining investiert habe, bzw. die weiteste Strecke die ich dieses Jahr laufen war etwas mehr als 35 Kilometer war lies ich die Vernunft siegen und besonn mich darauf, dass es wohl vernünftiger wäre nur die hälfte der Route zu laufen. Den südlichen Teil kenne ich zu großen Teilen aus meinen Trainingsläufen und aus Mountainbike touren. Die Risikobeurteilung war natürlich einfach um abzuschätzen welche Himmelsrichtung sich für den ersten Ultra des Jahres anbietet recht einfach. Ich kalkulierte kurz die Höhenmeter und Strecke und kam so auf sechs Stunden, die ich brauchen werde. Sechs Stunden sind lang! Besonders bei einem selbstversorgtem Lauf. Was macht der geneigte Trailrunner also dann? Er zückt sein Handy und schreibt einem Trailbuddy wohlwissentlich, dass der zusagen wird, wenn man fragt. So holte ich mir Daniel an Bord. Daniel und ich haben bereit einschlägige Erfahrung lange zusammen zu laufen. Wir sind ein Team das gut funktioniert. Hängt einer durch fängt der andere an zu reden und aufzumuntern. Wir erinnern uns gegenseitig daran zu essen und zu trinken und können auch mal 10 km schweigend nebeneinander her traben ohne dass es sich seltsam anfühlt. Ein Termin war schnell gefunden, wir hatten am 30.04.2018 dem Montag vor dem Tag der Arbeit beide keine Termine und konnten Urlaub nehmen. Nachdem die Kinder in die Schule gepackt wurden hatten wir beide den ganzen Tag Zeit. Gesagt, Getan trafen wir uns um 09.00 Uhr in Heiligenstadt, was ungefähr bei 20 Kilometern der Strecke lag. Dort parkten wir Daniels Auto und verluden Kühlbox, Kuchen und Wechselkleidung in den Kofferraum. Der VP01 war eingerichtet. Mit meinem Auto ging es dann zurück in Richtung Bamberg wo wir in Lohndorf auf dem Wanderparkplatz parkten und uns schnell unsere Laufwesten überwarfen. Im Westen zogen dunkle Regenwolken auf uns zu und wir wollten wenigstens ein paar Kilometer trocken hinter uns bringen. Zunächst ging es für 2 Kilometer auf dem Radweg in Richtung Tiefenellern, wo wir links den steilen Berg hinauf liefen, der nun auch in einen Waldweg mündete. Nun ging es hoch aufs Plateau wo wir auf den Frankenweg stießen, dem wir nun auch bis Heiligenstadt folgen sollten. Doch zunächst rollten wir in einem gemütlichen Tempo durch blühende Wälder und Wiesen. Der befürchtete Regen blieb aus, dafür liefen wir das erste Mal in die falsche Richtung, was wir aber schnell bemerkten und schwenkten schnell querfeldein in den Wald um zurück auf den Frankenweg zu kommen.

Belohnt wurden wir nicht nur mit vom Blütenstaub gelben Schuhen und einem überraschendem Stück Weg durch das Trockental des Bachs Leinleiter. Wir fühlten uns beide wie in einer anderen Welt oder einer anderen Zeit. Gerade waren wir noch in der typisch Fränkischen Agrarlandschaft und plötzlich kommen wir um die Kurve und da liegt dieses gewundene Kegeltal mit ausgespühlten Bachläufen und keiner Spur von Zivilisation. Daniel und ich wurden beide sehr still und genossen diesen Moment der Einsamkeit. Wie beflügelt liefen wir diese magischen Kilometer in 5:30 min/km Pace. Am Ende trafen wir auf eine Mühle und plötzlich stand am Hang vor uns ein Lama. Ich konnte nicht anders als vor Freude laut lachen. Es war ein perfekter Trailrunningmoment. Als wir uns gerade wieder gesammelt hatten powerhikten wir über einem Feldweg bergauf, grüßten ein älteres Bauernehepaar, dass gerade ihr Kartoffelfeld, das eher aussah wie ein Steinfeld bestellte und schon tauchten wir wieder in ein Paradies in Singletrail-Form ab. Zwischen grünen, vollen Laubbäumen wand sich der gerade einen Fuß breite Weg an der Plateaukante empor, bis wir einen Felskopf erreichten, sich das Dickicht löste und uns einen unfassbaren Blick über das weitere Leinleiter-Tal ermöglichte. Ich war schon wieder völlig perplex weil alles so schön war!

Gefolgt wurde dieses Panorama von einem brutalen und unfassbar lustigen Downhill. Ich hatte einfach auch einen tollen Tag und meine Beine fühlten sich nach fast 20 km ziemlich frisch an. Am Ende des Abstiegs durch dichte Laubwälder trabten wir in ansehnlicher Pace auf einem Feldweg und vor uns erschien Burg Greifenstein, was für uns bedeutete, dass Heiligenstadt nun nicht mehr weit ist. Ich holte meine Trinkflasche aus dem Laufrucksack und saugte den letzten Tropfen heraus. Das Wetter wurde immer besser und die Windjacken waren auch schon lange im Rucksack verstaubt. Ich wollte nicht dass der tolle Lauftag von Dehydrierung oder Hunger zunichte gemacht wird. Deshalb habe ich auch brav alle 10 km einen Riegel oder eine Hand voll Nüsse gegessen. Angekommen in Heiligenstadt streckten wir kurz die Beine aus und setzten uns in Daniels Kofferraum. Softflasks auffüllen. Kuchen vom Leib ab beißen und einen halben Liter Cola wegexen. Nach nicht mal 10 Minuten waren wir wieder in Bewegung. Es zog uns beide wieder raus in den Wald, wir wollten die nächsten Singletrails erobern und herausfinden wie der Rest der Strecke aussieht. Vor lauter Übermut verliefen wir uns nun zum zweiten Mal an diesem Tage. Auch diesmal musste die Offtrail-Lösung herhalten um wieder zurück auf die Route zu kommen. Aber im vergleich zu ersten Mal mussten wir fast senkrecht durch den laubbedeckten Wald aufsteigen. Wir nahmen uns Stöcke zur Hilfe und sinnierten darüber, dass sich so der Barkley Marathon anfühlen müssen, nur ungefähr 120 Meilen lang. So überwanden wir unter steigendem Puls ca. 100 hm nur um ins zermürbenste Stück des ganzen Laufs zu kommen. Vor uns lagen nun 7 km gepflasterter Flurbereinigungsweg, der fast gerade aus führte und stetig leicht bergauf ging.

War die einzige nicht so schöne Strecke überstanden zeigte sich die Route wieder sehr dankbar mit einem wilden Downhill hinunter nach Frankendorf. Langsam kamen wir auch wieder in Gefilde in denen ich schon gelaufen bin. ich wusste nun, dass es nur noch zwei Anstiege waren bis wir am Ziel sind. Dafür hatten es beide Anstiege heftig in sich. Schnell durch das historische und verschlafene Frankendorf hindurch wand sich der Weg steil nach oben. Im Wald zeigten sich geliebte Kletterfelsen, die Dragonerwände und die Landrichter Seite, und am Weg waren noch genutzte Felsenkeller. Oberhalb von Frankendorf ging es sofort wieder hinab, nicht zu steil, so dass man einfach alle bremsen lösen konnte um durch Ketchendorf, einem kleinen Ort am Ende eines Tals, zu rollen um mit Schwung direkt den härtesten aller Aufstiege zu bewältigen, der vom tiefsten Punkt der Strecke (350 m NN) bis zum Höchsten (585 NN) führte auf nur 2 km Wegstrecke. Also Hände auf die Knie und Hochdrücken. Oben auf der Friesener Warte erwartete uns neben einem knutschenden Pärchen nur ein grandioser Ausblick über das Regnitztal. Dank der großartigen Sicht konnten wir von Nürnberb bis Coburg sehen.

Sattgesehen am Schäfchenwolkenpanorama trabten wir weiter Richtung Kälberberg, dem Sender, den man gut von der A73 aus sieht wenn man durch unsere schöne Heimat fährt. Der teuflische Kilometer 35 war angebrochen. Wir waren beide sehr still. Ich spürte meine Beine nach dem letzten Aufstieg nun deutlich und ich hatte Durst. meine 500 ml Softflask mit Iso war bereits leer. Ich hatte nur noch meine eiserne Reserve von 250 ml Wasser, doch die musste ich mir aufheben für den letzten Riegel bei 40 Kilometern, da ich sowieso schon keinen Appetit mehr hatte wusste ich dass ich noch etwas brauche um die letzte Energiereserve runterzuspülen, sonst würde ich sie würgend in den Staub spuken. Zum Glück wusste ich das nach dem Sender am Kälberberg ein langer Downhill zu erwarten war. Dort konnte ich rollen lassen. Energie tanken und gut Kilometer machen ohne Energie hinein zu stecken. Als die Uhr gerade die 40 km Marke mit piepsen signalisierte sprachen Daniel und ich das erste mal wieder seit 30 Minuten. Wir wiesen uns gleichzeitig darauf hin, dass wir jetzt etwas essen müssten, weil unsere Akkus leer sind. Beide rangen wir etwas hinunter. Genuss war es keiner. Ich trank so viel ich brauchte um zu schlucken und den Hals von Krümeln zu befreien. Den Rest hatte ich mir vorgenommen erst am höchsten Punkt des letzten Anstiegs zu trinken. Dieser Anstieg folgte nun. Auf ungefähr der Hälfte vermeldete meine Suunto dass die Marathongrenze überschritten ist und irgendwie wurden dann die Beine auch wieder lockerer. Drei Kilometer später war dann auch der letzte Höhenmeter des Tages bewältigt, der letzte Tropfen aus der Softflask genuckelt und ich stürzte mich in den letzten Downhill, der uns über einen Singletrail einen wilden Bach entlang nach Tiefenellern führte.

Das Tempo das ich aufgenommen hatte musste ich jetzt halten. Es fühlte sich gut an jetzt noch mal zu pacen. Ich freute mich auf die halbe Flasche Wasser in meinem Fußraum des Autos und noch mehr freute ich mich auf kalte Cola in der Kühlbox in Daniels Auto. Es war auch ein gutes Gefühl nach 50 Kilometern noch Marathon-Pace laufen zu können. Lächelnd rollte ich auf den Wanderparkplatz in Lohndorf. Kramte den Autoschlüssel aus meiner Laufweste und kramte gierig nach dem Mineralwasser. ich streifte mir die Schuhe von den Füßen und war dankbar, dass die doch noch relativ neuen Altra Lone Peak 3.5 keine Spuren an meinen Zehen hinterlassen hatten, die gerade bei den harten Downhills ziemlich schmerzten. Doch muss sagen, das dieser Schuhe mit jedem Lauf bequemer wird. Wenige Minuten nach mir joggte Daniel gemütlich ein und wir fielen uns in die Arme. Wir dachten beide an letztes Jahr, als wir gemeinsam das erste mal die Ultra-Grenze überquert hatten. Heute fühlte sich das alles viel normaler an. Viel mehr nach Spaß, viel weniger nach Grenzüberschreitung. So lange Läufe stellen etwas mit einem an. Ich fühlte mich den restlichen Tag als hätte ich gekifft. Ich saß im Auto und grinste debil vor mich hin. Ich war 50 Kilometer laufen, in knapp 6 Stunden. Besser hätten wir diesen Brückentag wohl nicht nutzen können. Schon während des Laufs hatten wir beschlossen dass die 10 km länger Nordrunde dieses Jahr auch noch gelaufen werden muss.