abschalten

Jetzt beginnt wieder die Fastenzeit. Eine spirituelle Zeit, die nicht nur im Christentum von Bedeutung ist. Wenn der Mensch fastet, also bewusst auf etwas verzichtet, dann kann man daran wachsen. Ich versuche ja seit geraumer Zeit mein Leben mit mehr Sinn auszugestalten. Gute Dinge nach vorne kommen zu lassen und schlechten Dingen weniger Bedeutung zu geben. Mein Smartphone ist für mich beides. Ein gutes Werkzeug, eine sinnvolle Beschäftigung und eine unfassbare Zeitverschwendung. Im Folgenden versuche ich deshalb mich meiner Telefonnutzung zu nähern und bestimmte Änderungen im Nutzungsverhalten zu finden, die Notwendig sind mir mehr Zeit und Wille für wichtigere Dinge zu geben. Ein sinnvoller Verzicht zu Gunsten meiner Zufriedenheit.

 

 

 

Wer kennt es nicht? Im Fernsehen läuft eine Netflixserie von der man nun schon die dritte Folge in einer Reihe gesehen hat und eigentlich ist man sehr dankbar, dass zu Beginn jeder Folge ein kurzer Rückblick auf die letzten Episoden läuft. Eigentlich hat man nämlich genau gar nichts von der Handlung mitbekommen, weil man den „Second Screen“ in der Hand hatte und sich darauf Instagram-Stories angesehen hat. Das führt dazu, dass man nicht nur vielleicht großartige Momente in Serien verpasst, sondern auch beginnt sich Serien und Filme anzuschauen, die nebenbei laufen. Das nennt man dann Hintergrundrauschen und ist eigentlich ein Störgeräusch weil es ablenkt. Wir lassen uns viel zu leicht ablenken und verpassen dabei so vieles.

 

In einem anderen Szenario sitzt man mit einem wichtigen Menschen ins Gespräch vertieft im Kaffee. Neben den Tassen liegen Smartphones. Das Gespräch ist tief, umfänglich und verworren. Man spricht nicht nur um zu sprechen sondern um sich zu verbinden. Dann leuchtet das Display eines Gesprächsteilnehmers auf. Nur eine Notification von Facebook, weil ein ehemaliger Schulfreund, den man seit 12 Jahren nicht mehr gesehen hat und man nur befreundet ist, weil irgendwann mal die Freundschaftsanfrage kam eben jene angenommen hat, hat einen 2 Wochen alten Kommentar unter einem Foto geliked. Die Aufmerksamkeit war beim Handy. Im natürlichen Impuls hat man kurz über die Nachricht gewischt und den Inhalt verarbeitet. Gegenüber hat man derweil eine wichtige Conclusio getroffen und einen sehr intimen Moment geteilt. Leider ist diese Botschaft am Leuchten des Displays abgeprallt und das Gespräch kommt an dieser Stelle zum Stocken. Der Geständige ist traurig über die Unaufmerksamkeit, man selbst ist peinlich berührt, weil man selbst weiß, dass man gerade sehr respektlos war. Bis zum nächsten Treffen und Gespräch einer ähnlichen Tiefe wird viel Zeit vergehen. Ein bitterer kurzer Beigeschmack. Wir haben uns dieses Verhalten antrainiert. Es ist Gewohnheit geworden.

 

Ein langer Arbeitstag ist zu Ende. Man kommt nach Hause. Kocht und sitzt dann am Tisch. Manche nur zu zweit. Manche mit Kindern, Omas, Onkels oder den Eltern. Es könnte nun beim gemeinsamen Abendessen ein angeregtes Gespräch stattfinden, in dem man die Leben verknüpft und die Geschichten der anderen Familienmitglieder mit den eigenen verbindet. Sich austauscht. Zu einem Stamm wird. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Fernseher im Blickbereich des Tischs Hintergrundrauschen ausstößt und abwechselnd jemanden in der Runde kurz oder länger ablenkt. Nicht selten schauen beim Familienabendessen die beiden Eltern in das Telefon und versuchen sich zu zerstreuen nach einem Tag voll Anforderungen, Zwängen und Stress, während die Kinder ganz intuitiv versuchen von ihrem erlebten zu erzählen. Nun seid kurz ehrlich zu euch selbst, muss ja niemand wissen, wie oft habt ihr schon gesagt „Aha, interessant!“ und dabei euren Twitter Feed aktualisiert? Ich gestehe, es passiert mir ständig.

 

Ich will an dieser Stelle weder irgendein soziales Netzwerk, App oder Messenger verteufeln. Für jeden haben Sie individuell Nutzen und wenn es nur Zeitvertreib ist. Aber als jemand der chronisch nie genug Zeit hat, ist die Zeit die man mit einem mattblauen Schimmer im Gesicht verbringt hart, wenn man doch eigentlich seine wertvollsten Minuten mit wertvollen Aktivitäten, geliebten Menschen und Kreativität befüllen will, ziemlich verschwendet. Ich befürchte was ich hier beschreibe nennt man Achtsamkeit, ein Wort das in mir ähnlich viel Begeisterung auslöst wie „vollumfänglich“ oder „ganzheitlich“. Sobald mir ein besseres Wort einfällt sage ich Bescheid. Doch hat man Gewohnheiten erkannt ist das gar nicht so leicht diese wieder loszuwerden. Socialmedia und unsere Handys sind so entwickelt, dass sie uns möglichst lange am Bildschirm zu lassen. Nutzungszeiten sind bares Geld, weil wir so mehr Werbung zu sehen bekommen, mehr Affiliatelinks klicken und mehr über unsere Nutzungsgewohnheiten preisgeben. Im Prinzip erkauft man sich unsere Zeit. Um sich etwas Neues anzugewöhnen muss man braucht man, wie schon so oft erwähnt, 21 Tage. Ich möchte mir aber nichts angewöhnen, auch nichts abgewöhnen, nur achtsamer sein. Also habe ich mir ein paar Maßnahmen überlegt wie ich weniger SINNLOSE Zeit am Touchscreen verbringen kann.

 

Meistens verschwende ich meine Zeit, wenn ich gerade etwas gemacht habe, wie zum Beispiel lesen, und mein Smartphone sich bemerkbar gemacht hat und ich es in die Hand nehme um zum Beispiel das Email zu lesen, das ich gerade bekommen habe, aber dann doch nur mal wieder ein Newsletter war, den ich noch nicht abbestellt habe. Dann sehe ich eine rote Zahl an der Twitter App, hab ich dort meine Mitteilungen gelesen scrolle ich noch mal eben durch die Timeline, sehe einen lustigen Post der geteilt wurde. Während ich mir also die 99 lustigsten Katzenbabys ansehe pusht Strava, dass jemand mir „Kudos“ für irgendeinen Lauf aus dem letzten Jahr gegeben hat und ich wechsle zur Strava App. Sehe dort, dass der Trailtiger gerade mal wieder 60 km in 4:30 gelaufen ist und wechsle direkt in WhatsApp um im mitzuteilen, dass er völlig gestört ist und ich das toll finde. Sehe dabei, dass ich noch eine Podcast-relevante Sprachnachricht nicht abgehört habe und höre mir die für 10 Minuten an. Nach den 10 Minuten fällt mir dann wieder ein, dass ich eigentlich vor 20 Minuten ein Buch gelesen habe, jetzt aber mit dem Kochen anfangen muss, aber vergessen habe vorhin das Rezept zu speichern, weil ich derweil einen Anruf bekommen habe. Ich glaube jeder hat verstanden worauf ich hinaus möchte. Ich kann meine Nutzungsgewohnheiten nur ändern, wenn mein Handy nicht die ganze Zeit die Chance hat meine Aufmerksamkeit einzufordern. Ich habe folgende Änderungen ausgeführt, die ich jeden, der das Experiment mit mir wagen möchte empfehlen kann:

 

Alle Benachrichtigungen aus: Kein App darf mein Handydisplay aktivieren und es zum Leuchten bringen. Man kann wenn man es wirklich Hardcore will sämtliche Benachrichtigungen deaktivieren. Wahrscheinlich verpasst man dann nicht mal was. Ich habe im Laufe der Zeit, dann eine Ausnahme programmiert. Wenn meine Partnerin mir schreibt, dann springt mein Display an. Das hat den einfachen Grund dass ziemlich jede Konversation mit Ihr für mich Priorität A hat und ich gerne alles liegen lasse um mich mit Ihr auszutauschen. So muss man für sich kategorisieren welche Benachrichtigungen Priorität haben. Erlaubt man für andere Apps die Notifikationen sollte man mal überprüfen ob man diese vielleicht anderweitig reduzieren kann. So hab ich bei WhatsApp und Telegram, was meine Hauptkommunikationskanäle sind die Benachrichtigungen zwar aktiviert, aber Gruppen komplett stummgeschalten. Alle Apps die mir für Likes Feedback gaben haben gar kein Recht mehr mich zu informieren, weil das jemanden etwas gefällt das ich irgendwo gepostet habe ist zwar schön, aber hat keinerlei Belang für mich. Emails erreichen mich nur noch stumm. Mein Lockscreen ist inzwischen nur noch leer und zeigt mir Uhrzeit und Wetter.

 

Graustufen: Ja, alles grau in grau ist ziemlich hässlich und gerade wenn man sich ein paar Fotos auf Instagram anschaut macht es wenig Sinn das Display auf Schwarz und Weiß zu stellen. Aber wenn man wiederum nur eine Nachricht liest, die man bekommen hat oder eine Mail beantwortet lenken die vielen bunten Icons die Augen gar nicht mehr so sehr ab, wenn man diese auf Graustufen darstellt. Bei allen gängigen Systemen kann man die Darstellung in den Bedienhilfen leicht umstellen. Bei Android kann man es sogar einrichten, dass man per Tastendruck on the Fly von Farbe auf Schwarzweiß auf Farbe umstellen kann. Drücke ich meinen Homebutton dreimal schnell kehren die Farben zurück und ich kann mir wieder bunte Bilder von leichtbekleideten Frauen die am Strand Yoga machen ansehen. Man muss sich nur angewöhnen wieder auf Graustufen zu wechseln wenn man das Handy nutz um einen Artikel zu lesen. Dort lenken nämlich dann Werbebanner viel weniger vom eigentlichen Text ab. Und als kleiner Bonus wirken die Farben viel schöner und intensiver wenn man vorher nicht davon überflutet wurde.

 

Bitte nicht stören: Die meisten kennen das wohl eher als Hängeschild an der Hoteltür, wenn man miteinander oder ausschlafen will und nicht möchte, dass der Zimmerservice dabei stört. So möchte ich eigentlich auch nicht, dass ich von irgendjemand angerufen werde, während ich gerade meditiere oder einen spannenden Film sehe, oder gar schlafe. Damit ich abends mehr ruhe habe, habe ich auch hier dafür gesorgt, dass mein Handy von 21:00 bis 06:00 Uhr automatisch in den Modus „nicht stören“ wechselt. Auch hier habe ich notwendige Ausnahmen hinzugefügt, falls es mit den Kindern einen Notfall gibt. Zusätzlich habe ich die Option aktiviert, dass mein Telefon klingelt, wenn jemand innerhalb von 15 Minuten dreimal anruft. Alles andere kann im Normalfall bis zum nächsten Morgen warten oder dann schon wieder nicht mehr wichtig ist.

 

So jetzt lenkt mich mein Handy als weniger häufig ab. Das macht es wirklich. Endlich konzentriert lesen und malen ohne ständig wieder den Faden zu verlieren. Um dann ganz bewusst wieder mehr Fokus auf Gespräche am Tisch und im Café zu führen lege ich das Handy nicht mehr auf den Tisch. Entweder es ist ohne Vibration und Ton in meiner Hosentasche, aber da ist der Weg eigentlich zu kurz und zu oft erwische ich mich dann doch mal das Display zu checken, also lege ich das Handy aus der Reichweite und genieße meinen Kaffee, mein Abendessen und meine Mitmenschen mit denen ich die Zeit verbringe. Am Abend auf der Couch versuche ich mich entweder mit einer Serie zu beschäftigen oder mich im Netz mit anderen auszutauschen. Mache ich beides gleichzeitig teile ich meine Aufmerksamkeit nämlich nicht hälftig sondern jeweils nur zu einem Drittel und das letzte Drittel verschwindet im nichts. Verlorene Zeit.

 

Ich möchte mein modernes, wenn auch günstiges Smartphone nicht missen, weil ich schnell und einfach kommunizieren kann, mir alles Wissen und jede Information zur Verfügung steht. Ich unbegrenzten Zugriff auf Musik und Nachrichten habe. Ich etliche wunderbare Stunden beim Hören von Podcasts und Hörbüchern damit hatte. Aber ich möchte selbstbestimmen wann und wieviel Zeit ich damit verbringe. Deshalb faste ich verschwendete Zeit am blassblauen Display.

 

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Kommentare: 6
  • #1

    Florian (Mittwoch, 14 Februar 2018 13:50)

    Das mit den Graustufen find ich sehr interessant. Inspiriert durch zenhabits, hab ich meine Notifikationen - vor vielen Wochen - deaktiviert und dann, gerade zu Beginn, sehr oft festgestellt, dass ich automatisch zu meinem Handy greif, obwohl das Ergebnis eh klar war -> Ein leerer Sperrbildschirm.

    Mittlerweile hab ich mich schon umgewohnt und find jede Art von Benachrichtigung wahnsinnig störend. Ich merk auch wie z.b.: beim Laufen, ich plötzlich ungestört Stunden laufen kann, ohne das ständige vibrieren. Und dann der Gedanke "Wer hat mir da wohl geschrieben?" - "Das muss super wichtig sein"....

    Ich hab das Gefühl mehr die Kontrolle zu haben. Jedes nachschauen is bewusst, auch wenn noch manchmal ("bewusst") zu viel. Aber ein Schritt nach dem anderen :)

    toller Beitrage, danke.

  • #2

    Karen (Mittwoch, 14 Februar 2018 13:51)

    Während der Masterarbeit hatte ich so eine wundervolle App, in der man nach und nach einen virtuellen Wald angelegt hat, wenn man das Handy nur lange genug in der Ecke liegen ließ. Vielleicht sollte ich die mal wieder reaktivieren.
    Danke auf jeden Fall für diesen Artikel, er ist ein schöner Anstoß für Leute wie mich, die sich mit dem Ablenkungsfasten schwer tun, da sie keinen Anfang finden. Deine Tipps gefallen mir gut und ich werd mal versuchen, ob ich nicht ein paar davon umsetzen kann.

  • #3

    Eric (Mittwoch, 14 Februar 2018 13:58)

    Danke für deinen tollen Artikel. Wieder einmal ein schöner Einblick. :)

    Ähnlich handhabe ich es auch seit geraumer Zeit.
    Ich versuche mir gerade Handyzeiten anzugewöhnen bspw. von 08:00 Uhr - 18:00 Uhr. Davor und danach Flugmodus. Klappt zur Zeit mehr schlecht als Recht. Kommt aber noch.
    Pushup Nachrichten habe ich wie du komplett verbannt, außer die der Frau. Der Rest ist in WhatsApp stumm.
    Ich habe nach der letzten Familienfeier (vergangenen Sonntag) entschieden, dass bei der nächsten die Telefone in eine Schale gelegt werden und nach Beendigung wieder genommen werden dürfen. Die Zeit mit dem Rest meiner Familie ist selten, da möchte ich quatschen und lachen und nicht genervt sein, wenn alles auf das Ding starren. Ebenso gilt seit längerem Handyverbot am Esstisch.
    Das man alles schwarz/weiß stellen kann ist mir so noch gar nicht bewusst gewesen. Das werde ich gleich mal versuchen herauszufinden.

    Grüße Eric

  • #4

    schnaufcast - Flo (Mittwoch, 14 Februar 2018 14:17)

    @Eric und Florian: Ihr habt glaube ich beide ein Iphone, da müssten die Graustufen in auch in den Bedienhilfen sein und auch mit dem Homebutten angesteuert werden können. Bei Android kann man auch die Funktionstasten mit Funktionen belegen.

    Berichtet doch mal wie es euch in 40 Tagen mit dem Digital-Fasten ergangen ist. Der Artikel kann auch gerne als Diskussionsforum genutzt werden und für zusätzliche Tipps bin ich immer dankbar!

  • #5

    Trailtiger (Mittwoch, 14 Februar 2018 19:34)

    Toller Beitrag, Flo! Ich selbst merke auch immer wieder, wie problematisch das ist. Wenngleich ich auch nicht ganz so radikal an die Sache herangehen würde, h e ich doch gemerkt, dass ich den "Second Screen" so weit wie möglich vermeiden will. Die zweite Baustelle ist die Schreibtischarbeit: die ist oft genug an sich schon komplex und ablenkend genug, ich habe oft genug gemerkt, dass ich ohne Stummschaltung des Telefons nicht mehr klarkomme.
    Andererseits kann ich aber in anderen Situationen durchaus auch vom Smartphone ablassen und die Welt ignorieren - das halte ich für sehr wichtig und vermutlich auch für den Grund, warum mein Bedürfnis nach Abschalten nicht ganz so umfassend ist, wie Deins.

  • #6

    Jürgen (Mittwoch, 14 Februar 2018 21:33)

    Daumen hoch!