Da liegt mir etwas auf dem Herzen

Ich kam gut erholt aus dem Urlaub wieder und wollte euch eigentlich sogar noch bevor ich wieder ins Krankenhaus musste einen Bericht über den Urlaub schreiben. Das ist jetzt zwei Wochen her und fühlt sich an wie in einem anderen Leben. Seit dem herrscht in meinem Leben mehr Klarheit, eine Diagnose und das wissen, dass mir da ganz unmetaphorisch etwas auf dem Herzen liegt. 

 

Vergangene Woche hatte ich meinen geplanten zweitägigen Aufenthalt in der Neurologie des Uniklinikums, an dem ich auch arbeite. Der Altweibersommer war gerade auf dem Zenit und ich war hoch motiviert die letzten beiden Sommertage im Krankenhaus zu verbringen. Aber das Krankenhaus sah das genauso und rief mich gegen 9.00 Uhr an, dass ich bitte nicht wie vereinbart schon um 10.00 Uhr da sein solle, sondern lieber erst gegen 13.00 Uhr, da keine Betten frei seien. Ich nutzte die Zeit um unseren Schrebergarten noch mal ordentlich zu gießen, dass er trotz der sommerlichen Hitze weiter schön grün bleibt. Als ich dann ein paar Stunden später aufgenommen war lag ich nun im Krankenhausbett und wartete. Warten war so ziemlich das, was ich die meiste Zeit gemacht habe in diesen zwei Tagen. Im Nachhinein fühle ich mich ziemlich verarscht, weil die drei Untersuchungen, die gemacht wurden hätte man auch alle stationär machen können und ich hätte nicht in einem heißen Doppelzimmer mit einem Fremden schlafen müssen. Mein Zimmernachbar war zwar total nett und wir konnten uns abends super über die politische Weltlage unterhalten, aber daheim ist es, gerade wenn man doch eh schon angeschlagen ist, am schönsten. Während meines Aufenthalts wurde sowohl eine Lumbalpunktion, ein Tensilontest und ein Thorax-CT durchgeführt. Bei der Lumbalpunktion sticht man mit einer Nadel im Lendenbereich zwischen den Wirbeln in den Nervensack, der mit dem Gehirn verbunden ist. So kann Hirnwasser entnommen werden und zur Befundung untersucht werden. Dieser Test wurde bei mir nur gemacht um etwaige andere Erkrankungen als die MG differenzialdiagnostisch auszuschließen. Der Test war wie erwartet unauffällig. Darauf hin wurde der Tensilontest durchgeführt, der laut eines Pflegers der Hauptgrund für eine Übernachtung darstellt. Bei diesem Test wird einem ein Medikament ähnlich dem Mestinon gespritzt und man beobachtet ob sich die Symptome verbessern. Da ich weiterhin keine nachweißbaren Antikörper im Blut hatte konnte man die Myasthenie nicht nachweißen. Der Test war positiv und einer der emotionalsten Momente meines Lebens.

Ich konnte zwei Anfang Juli immer schlechter sehen, hatte Doppelbilder und war kognitiv zunehmend eingeschränkt. Meine hängenden Augenlieder konnte man nicht mehr weg diskutieren und ich fühlte mich nur noch hässlich. Knapp 3 Minuten nach Medikamentengabe schaute mich ein ganzes Krankenhauszimmer völlig entgeistert an und mir kullerte eine dicke Freudenträne übers Gesicht. Das Medikament wirkte und ich konnte das erste Mal seit Wochen wieder sehen. Ein Buch lesen. Meiner Freundin mit beiden Augen in ihre schauen, Fotos anschauen, die Treppe hinunter gehen ohne mich ans Geländer zu klammern. Ich war wieder fast der Alte. Ich hatte eine Diagnose! Man konnte mir endlich sagen wie es nun weiter geht und was auf mich zukommt. Man konnte mir endlich Medikamente geben. Diese bekam ich auch zwei Stunden später das erste mal. Seit dem ist mein Tag in 4 Stunden gestückelt. Das ist nämlich die Zeitspanne zwischen den Tabletten. In dieser Zeit bin ich so gut wie Beschwerde frei. Ich habe schon lange nicht mehr so gern einfach nur mit zwei offenen Augen ferngesehen. Es folgte, nun da die Diagnose gestellt war, ein CT. Im Vergleich zum MRT vor vier Wochen wesentlich weniger gruselig. Nur leider war das Ergebnis umso gruseliger. Am Nachmittag kam dann der Oberarzt und wollte mit mir alles besprechen. Erklärte mir noch mal in klaren Worten was eine Myasthenie ist und wie ich damit leben kann. Welche Medikamente ich nun einnehme und was diese bewirken werden. Zuletzt erklärte er mir noch, dass man im Gegensatz zu vielen MG-Patienten bei mir keine Antikörper im Blut finden könne. Ich wäre somit dreifach Seronegativ. Ein Sechser im Lotto mit Zusatzzahl. Dies höre ich nun schon das zweite Mal im Leben in einem Krankenhaus. Lottospielen werde ich trotzdem nie. Und was löst die Krankheit nun aus? Ja, das hat man mir auch gesagt. Auf den CT-Bildern sieht man ganz eindeutig ein Raumforderung an meiner Thymusdrüse. Landläufig nennt man so etwas auch einen Tumor. Uff! Ja so ging es mir auch. Danach redet man sich immer ein, dass man es im Gefühl hatte. Hatte ich nicht! Ich wusste das es eine Myasthenie ist. Ich wusste, dass das Mestinon mir hilf. Aber mit der Möglichkeit, dass da etwas zwischen meiner Lunge und meinem Herzen wächst, was da mal so gar nicht hingehört, damit hätte ich nie gerechnet. 

Ich wurde am Abend entlassen und es folgte ein Staffellauf der mir nicht wenig Kraft geraubt hat. Ohne die unglaubliche Hilfe meiner Freundin wäre ich wohl inzwischen am Rande des Nervenzusammenbruchs oder schon sehr weit darüber hinaus! Sie hat für mich die komplette Koordination übernommen, Zweitmeinungen angefordert, mit Ärzten gestritten, meine Familie informiert, Köpfe gestreichelt, mich in den Arm genommen, mit mir mein Testament besprochen, Termine vereinbart und mich zu jeder verdammten Untersuchung begleitet. Ich war nie alleine. Nicht als man mir erklärte, dass man mir das Brustbein aufschneiden wird. Nicht als man mir sagte, dass ich mindesten 6 Nächte im Krankenhaus bleiben musste. Nicht als man mir sagte, dass die Anästhesie meine MG zunächst verschlechtern wird. Sie ließ mich einfach nicht im Stich. Ein großer Eingriff. Ein Risiko. Ja, ich hab ziemlich Angst davor was da auf mich zu kommt. Ein Testament zu schreiben, eins das wirklich ernst gemeint ist, weil es schon morgen Gültigkeit erlangen könnte, ist nicht einfach. Jemanden zu erklären wie die Lebensversicherungen abgeschlossen sind und was davon bezahlt werden soll, wenn man selbst nicht mehr kann, ist lästig. Mit jemanden zu besprechen wann es Sinn macht die Maschinen abzuschalten und wann ich mein Leben als nicht mehr lebenswürdig sehen würde zu diskutieren ist hart. Doch der schlimmste Gedanke ist es, diesen einen Menschen, der offensichtlich alles für einen tut allein zu lassen. Ich weiß es ist so unwahrscheinlich, dass ich sterbe. Aber es liegt mir auf dem Herzen. Die Chance ist da und ich finde es fahrlässig sich damit nicht auseinander zu setzen wenn man an dieser Schwelle steht. Ich habe die letzten fünf Tage genug geheult. Allen Lieben nochmal etwas gesagt.

 

Ich habe keine Angst vor dem Sterben, ich werde davon nichts mitbekommen. Ich habe Angst vor postoperativen Schmerzen. Ich habe Angst vor der Wehrlosigkeit durch die Narkose. Ich habe Angst, dass es lange dauert wieder auf die Beine zu kommen. Morgen früh um 06.30 Uhr gehe ich in den OP. Ich weiß nicht wann ich wieder etwas von mir hören lassen kann, aber ich höre nicht auf zu hoffen, dass ich bald wieder schreiben oder podcasten werde.

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Kommentare: 4
  • #1

    Fox (Dienstag, 20 September 2016 15:09)

    Wow - bin gerade etwas sprachlos. Ich wünsche dir alles erdenklich gute und drücke alle Pfoten, dass alles gut wird!

  • #2

    Johannes (Dienstag, 20 September 2016 15:10)

    Wie auf Twitter schon geschrieben und geteilt: der #twitterlauftreff wird bei dir sein, in Gedanken, nicht wirklich greifbar, aber da!

    Ich, wir alle, hoffen, dass das Testament, die Gespräche was, wann, wie für lange Zeit "unnötig" waren, dass du wieder aufwachst und frohen Mutes und voller Kraft die nächsten Schritte angehen kannst. Raus mit dem Ding und dann volle Kraft voraus!

  • #3

    Sascha (Dienstag, 20 September 2016 15:17)

    Hey Flo,
    ich drücke dir alle vorhandenen Daumen, wobei ich davon überzeugt bin dass weder du noch die Ärzte das Glück brauchen werden um da heil raus zu kommen. Für dich und mich mag das alles dramatisch klingen was die OP angeht, aber für das Ärzteteam ist es ein Job, etwas das sie beherrschen. Etwas das sie können und mit Sicherheit schon unzählige Male geübt haben.

    Kopf hoch und lass bald von dir hören!

    Sascha

  • #4

    Daniel (Dienstag, 20 September 2016 19:43)

    alles gute Flo!